Die Episode „Das Geisterschiff“ aus der ZDF-Reihe „Die Toten vom Bodensee“ (Rowboat, Graf) mit Matthias Koeberlin und Hary Prinz ist stellenweise recht gruselig, aber vor allem ein sehenswerter Krimi, der sich schließlich als Tragödie entpuppt: Als auf mysteriöse Weise ein Segelboot samt Skelett aus der Tiefe des Sees auftaucht, muss das deutsch-österreichische Ermittlungsteam einen 15 Jahre alten Mordfall neu aufrollen. Die Bildgestaltung der quotenstarken Krimi-Reihe ist wie stets ausgezeichnet.
Angesichts des extrem niedrigen Wasserstands kursiert derzeit am Bodensee die bange Frage, ob das Gewässer seine grausigen Geheimnisse preisgeben könnte: Nach Schätzungen der Polizei birgt der See gut hundert Leichen von Ertrunkenen; allerdings in einer Tiefe, die eine zufällige Begegnung ausschließen sollte. Der Krimi „Das Geisterschiff“, Episode Nummer 22 der ZDF-Reihe „Die Toten vom Bodensee“, erlaubt sich daher eine gewisse künstlerische Freiheit, als es nachts beinahe zu einem Zusammenstoß kommt: Während eine Fischerin ihr Netz einholt, taucht wie aus dem Nichts ein vor 15 Jahren verschollenes Segelboot auf. Wallender Nebel, knarrende Planken und die Musik sorgen dafür, dass der Auftakt ziemlich gruselig ist, zumal die „Zora“ eine finstere Fracht enthält.
Nach dem schauerlichen Prolog ändert sich zwar der Stil des Films, aber die Geschichte bleibt düster. Zwischen den Knochen findet sich ein Anhänger, den Kommissar Oberländer (Matthias Koeberlin) auf Anhieb wiedererkennt: Roman Steingass war vor 15 Jahren Hauptverdächtiger in einem Mordfall. Der Teenager war in eine Mitschülerin vernarrt, aber Anouk wollte nichts von ihm wissen; außerdem hatte sie einen Freund. Als ihre Leiche gefunden wurde und Roman mitsamt der „Zora“ spurlos verschwand, wurden die Ermittlungen eingestellt. Nun zeigt sich jedoch, dass es offenbar zwei Morde gegeben hat: Roman ist erstochen und an Deck des anschließend versenkten Boots festgebunden worden. Weil die Akte nie geschlossen wurde, kann sich Kriminaltechniker Egger (Stefan Pohl) noch mal die Ergebnisse der einstigen Untersuchungen vornehmen. Prompt findet er einen Beweis für Romans Unschuld: Anouk ist niedergeschlagen worden und ertrunken; aber keinesfalls im Bodensee.
Jeanet Pfitzer, Frank Koopmann und Roland Heep haben inklusive „Das Geisterschiff“ acht der letzten neun „Bodensee“-Krimis geschrieben. Die Drehbücher des Trios zeichnen sich nicht nur durch gute Geschichten über Ermittlungen im deutsch-österreichischen Grenzgebiet zwischen Lindau und Bregenz, sondern auch durch interessante Figuren aus: Als Oberländer klar wird, dass er den alten Fall neu aufrollen muss, wird er erneut mit den beiden Elternpaaren konfrontiert. Romans tiefreligiöse Mutter (Elisabeth Lanz) ist durch die damaligen Ereignisse komplett aus der Bahn geworfen worden. Sie ist überzeugt, im Zimmer ihres Sohnes, das sie seit 15 Jahren nicht mehr betreten hat, spuke es, weil sie ständig Geräusche aus dem Raum hört. Außerdem hat sie regelmäßig Visionen, in denen Roman ihr versichert, er sei nicht der Teufel. Auch auf dieser Ebene bedient sich Regisseurin Patricia Frey eines äußerst wirkungsvollen Horrorfilmelements, als die Frau aus einem Albtraum erwacht, nur um umgehend im nächsten zu landen.
Eine gleichfalls besondere Rolle spielt Anouks kleine Schwester, damals fünf Jahre alt. Sie hat sich mit ihren Eltern (Stephanie Japp, Harald Schrott) überworfen, ist mit 16 zu Hause ausgezogen und hat in der Fischerin, die zu Beginn die „Zora“ entdeckt, eine Ersatzmutter gefunden. Oberländers Gespräche mit Lenka, die ihn anhand seiner abgetragenen Jacke wiedererkennt, gehören dank Alice Prosser zu den berührendsten Szenen des Films. Der Kommissar darf sich diesmal ohnehin sehr empathisch zeigen. Das gilt auch für die WG-Szenen: Der von seiner Frau vor die Tür gesetzte Kollege Komlatschek (Hary Prinz) wohnt nun zumindest vorerst endgültig bei ihm. Buch und Regie gewähren dem Duo, das nach wie vor per Sie ist, einige schöne Freundschaftsmomente, zumal die unausweichliche Scheidung Komlatschek schwer zu schaffen macht.
Beruflich sind die Polizisten allerdings konträrer Meinung: Der österreichische Chefinspektor hält Anouks einstigen Freund (Michael Glantschnig) für einen Doppelmörder, der erst Anouk getötet und die Tat dann Roman in die Schuhe geschoben hat. Als es zu einem weiteren Mord kommt, entwickelt sich die Geschichte endgültig zur Familientragödie. Spätestens jetzt, wenn sich die Puzzleteile ineinander fügen und eine 15 Jahre alte Kinderzeichnung, ein spezieller Knoten sowie eine bestimmte Seiltechnik zur Lösung führen, zeigt sich die große Sorgfalt des Drehbuchs. Schauspielerisch ist „Das Geisterschiff“ ohnehin sehenswert, auch die Bildgestaltung ist ausgezeichnet; Lukas Gnaiger sorgt schon seit Jahren dafür, dass „Die Toten vom Bodensee“ überaus sorgfältig fotografiert sind. Gerade der nur vom Mond beschienene Auftakt ist optisch ein Gedicht. Eine Erklärung, warum die „Zora“ wie durch Geisterhand an die Oberfläche gekommen ist, bleibt der Film indes schuldig. Für den Kriminaltechniker handelt es sich um ein physikalisches Wunder: als ob das Boot gefunden werden wollte.
Mit Matthias Koeberlin, Hary Prinz, Alice Prosser, Elisabeth Lanz, Stephanie Japp, Harald Schrott, Edi Jäger, Michael Glantschnig, Magdalena Kronschläger, Valentin Hagg